Seit Mitte April 2023 arbeitet, dank der Förderung durch die Stiftung Deutsches Hilfswerk der Fernsehlotterie, Ebrahim Tayer für den Verein als Integrationsberater. Unser Beiratsmitglied Detlev Cosler hat mit ihm ein Interview zu seiner Geschichte und seiner Tätigkeit geführt:
Detlev: Lieber Ebrahim, du bist aus Syrien, hast viele Jahre dort gelebt, hast dein Land verlassen und bist nun seit 2015 in Deutschland. Wie war dein Leben in Syrien?
Ebrahim: Ich bin geboren 1977 in Aleppo, habe Jura studiert und arbeitete seit 2005 als Rechtsanwalt. Ich hatte eine eigene, kleine Kanzlei. Es gibt keine großen Kanzleien mit vielen Anwälten in Syrien. Das war nicht erlaubt – nur kleine Kanzleien. Die syrische Regierung hat Angst vor größeren Gruppen. Meine Kanzlei hatte ich bis 2012. Aber die Arbeit war schwierig. Überall musste „bezahlt“ werden. Es gab sehr viel Korruption. Ich habe mit Freunden auch politische Arbeit gemacht. Wir träumten von einem demokratischen Syrien. Dann kam der Krieg. Erst noch nicht in Aleppo. Die politische Arbeit wurde gefährlich. Ende 2012 beherrschte eine freie Militärgruppe (verschiedene Milizgruppen) halb Aleppo. Ein Jahr später hat ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) alles beherrscht, der aber dann wieder zurückgedrängt wurde. Das Syrische Regime ging gestärkt daraus hervor und ging massiv gegen freie Meinung vor. Wir sind von der Regierung Assad verfolgt worden. Ich persönlich stand auf der Liste von drei Staatssicherheitsorganisationen. Viele Kollegen sind im Gefängnis getötet worden, ich kenne drei persönlich. Aber auch ISIS tötete viele Leute. Unser Traum, ein demokratisches Land aufzubauen, wurde gebrochen.
Detlev: Und dann hast du Syrien verlassen?
Ebrahim: Im Frühjahr 2015 hielten wir uns im Grenzgebiet zur Türkei auf – und ja, dann haben wir Syrien verlassen. In der Türkei habe ich Handys und Laptops repariert. Ich hatte dann nochmal gedacht, dass ich zurück nach Aleppo gehe – sie brauchten mich für Dokumentation – aber es war sehr gefährlich. Mein Bruder war dagegen und hatte die Idee, dass ich vielleicht mit seinem Sohn nach Deutschland gehen könnte. Ich habe das erst gedanklich abgelehnt aber nach vielen Diskussionen haben wir gedacht, dass wir es versuchen. Über Griechenland erreichte ich dann mit meinem Neffen Deutschland. Am 09.09.2015 war ich in Schweinfurt und habe dann in Bamberg gelebt.
Detlev: Wie war die erste Zeit nach der Ankunft in Deutschland? Was hast du gedacht?
Ebrahim: Die ersten drei Jahre hatte ich Hoffnung zurückzukehren nach Syrien. Ich hatte die Hoffnung, dass Assad geht, dass es besser wird. Dann sah ich keine Chance mehr. Anfangs hatte ich gut deutsch gelernt und hatte schnell B1 und habe auch für Freunde übersetzt.
2018 war ich dann total kaputt. Meine Gedanken waren nur noch schlecht. „Was mache ich hier? Was kann ich tun? Was könnte ich arbeiten?“ Ich war dort Anwalt – und hier? Meine Zeugnisse wurden nicht anerkannt, B1 reichte nicht, um zu arbeiten. Aber ich wusste auch nicht, was ich hätte arbeiten können, wenn ich besser deutsch gesprochen hätte. Mir fehlen Informationen. Ich war krank, dick, hatte Probleme mit den Beinen, habe viel geraucht, war depressiv. Ich hatte keine Hoffnung, keine Motivation.
Detlev: Wie kam es dazu, dass du von Bayern hier an den Rhein kamst?
Ebrahim: Ein Freund von mir hat gesagt, ich soll doch zu ihm nach Linz kommen. Dort habe ich mit dem Rauchen aufgehört, habe 30kg abgenommen und meine Sprache verbessert indem ich den Kurs selbst zu Hause wiederholt habe. Ich habe versucht, Arbeit zu finden. Das Jobcenter hat mir dann eine Weiterbildung als Schulbegleiter/Schulassistenz finanziert. Ich habe in Syrien ehrenamtlich in der Schule gearbeitet – das hatte mir viel Spaß gemacht.
Heute bin ich heute schockiert über meine Situation damals. Ich habe im Grunde drei Jahre meines Lebens weggeworfen. Es war mein Fehler. Zwei Freunde sind heute schon Lehrer oder Beamter – ich hätte das auch schaffen können, wenn ich weiter deutsch gelernt hätte. Aber ich war damals nicht ich selbst. Ich hatte mich als Versager, als Verlierer gefühlt. Unsere Träume von Syrien, von einem demokratischen Land, waren zerstört worden.
Detlev: Und es brauchte Zeit, Abstand von diesen Träumen zu bekommen?
Ebrahim: Nein, ich habe diesen Traum von Demokratie heute auch. Ich erreiche diesen Traum durch Menschen. Demokratie überall, hier, in Afrika, egal. Demokratie ist nicht nur eine Frage von Staatschefs oder Machtgruppen – es sind die Menschen.
Detlev: Gibt es hier einen Lieblingsort für dich?
Ebrahim: (nachdenkliches Schweigen) Nein, keinen Ort – Personen – mein Freund, mein Nachbar, aber keinen Ort. Hier – er zeigt auf sein Büro und den Bürgerpark – Klaus, und du. Die Personen sind wichtiger als Orte. Ich hatte lange Zeit kaum Kontakte in Deutschland. Ich habe viel versucht, bin auf Schulen zugegangen, habe mich als Übersetzer oder Bürohelfer versucht – am Ende traf ich Klaus – es war Zufall – er kannte mich vorher nicht.
Detlev: Und nun arbeitest du im Verein als Integrationsberater – was ist deine Arbeit, was sind deine Aufgaben?
Ebrahim: Im Alltag vor allem Hilfe bei Formularen und Anträgen. Viele brauchen Informationen, was sie tun können oder müssen.
Aber das ist keine Integration. Integration ist: Was ist Deutschland? Was mache ich hier? Was kann ich hier arbeiten? Wie kann mein Leben hier in Deutschland aussehen? Viele haben studiert. Das ist im Grunde meine Situation in 2018. Ich möchte helfen, dass sie die Fehler, die ich gemacht habe, vielleicht vermeiden.
Aber manche sind auch schwierig, sie bringen sich immer wieder in problematische Situationen. Ich versuche dann zu vermitteln. Es ist mühsam aber – kein Problem, ich mache das gerne. Es ist im Grunde mein Hobby. Ich habe das schon seit 2016 gemacht. Also nicht beruflich – sondern mit meinen Freunden. Ich höre gerne zu – ich kann das lange. Es ist – wie sagt man – meine Begabung – ich kann das stundenlang. Aber ich möchte auch seelisch helfen. Gestern war einer dar, der hat immer Depressionen. Er fragt sich – wie ich damals – „was soll ich hier? Ich will wieder zurück!“
Und es gibt viel islamistische Propaganda im Internet und den Sozialen Medien. Vor allem die Geflüchteten, denen es nicht gut geht, denen die Perspektive fehlt, sind empfänglich für solche Propaganda. Die Propaganda nutzt die Unzufriedenheit um Moralvorstellungen zu verbreiten oder Deutschland schlecht zu machen. Da steht zum Beispiel, dass Deutschland nicht hilft sondern bloß billige Arbeitskräfte braucht. Es ist mir wichtig, dass unsere Geflüchteten erkennen, dass das schlechte Gedanken sind. Sie brauchen aber positive. Die heutigen Flüchtlinge haben 10 Jahre Krieg hinter sich. Viele hatten 10 Jahre keine Schule.
Aber auch viele Deutsche müssen noch über Integration lernen. Sie denken, die Flüchtlinge müssen Deutsche werden. Aber das geht nicht einfach so. Die Kindheit ist die Grundlage bei jedem. Wie man aufgewachsen ist, was man gelernt hat und glaubt. Vielleicht kann man etwas verändern aber nicht alles – und es braucht Zeit. Integration heißt nicht, seine Vergangenheit aufzugeben oder zu leugnen.
Detlev: Danke für das Interview, Ebrahim. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Tätigkeit.